Gastvortrag Julian Preece und Jack Arscott: "Begegnungen mit Menschen und Büchern: Elias Canetti in London"

  • 07. November 2024 18:15 - 20:00
  • Tübingen, Universität Brechtbau, R. 029

Julian Preece (Swansea) & Jack Arscott (LMU München/Swansea) Gastvortrag:

Begegnungen mit Menschen und Büchern: Elias Canetti in London
7. November 2024, 18:15, R. 029 (Brechtbau)

DFG/AHRC-Projekt: 'Elias Canetti and the British in a European Context: Exile, Reception, Appropriation'

Deutsches Seminar / Internationale Literaturen
Lehrstuhl Prof. Dr. Eckart Goebel
In Zusammenarbeit mit dem Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde

 

Ab Januar 1939 war der Hauptwohnsitz des deutschsprachigen Dichters Elias Canetti (1905-1994) drei Jahrzehnte lang London. Nach der Veröffentlichung seines Romans Die Blendung als Auto-da-Fé 1946 wollte er sich einen Platz im literarischen Feld durch sein Werk sichern, ohne – bis zur Vollendung des Magnum Opus Masse und Macht 1960 – den Markt mit Büchern weiter zu bedienen oder eine sonstige Präsenz im literarischen Leben zu pflegen. Stattdessen las er leidenschaftlich, sammelte Bücher, übte die Kunst des Gespräches in bevorzugten Lokalen im Londoner Stadtteil Hampstead und schrieb Aufzeichnungen, die seine Beobachtungen von Menschen und Lektüre-Erlebnisse festhielten und die bisher nur in Auswahl veröffentlicht worden sind. Bücher scheuten ihn entweder ab oder nahmen ihn in ihren Bann, ihre Autoren wurden zu Todfeinden oder Verbündeten. Er liebte das Prinzip des Zufalls und war überzeugt, dass es einen richtigen Zeitpunkt für die Aufnahme einer Lektüre gab. Menschen wirkten ähnlich auf ihn ein und nach dem fast gleichen Prinzip. Wenn Freunde und Geliebte ihn schnell langweilten, lebte er für die Begegnung mit ihm bedeutenden Figuren, die er an den Tagen danach in seinen Notizheften analysierte. Er wollte imponieren, sich selbst durch den Vergleich mit dem anderen besser verstehen, wurde manchmal aufgerüttelt und fürchtete nichts mehr, als dass er sein Gegenüber enttäuschte. Seine Reaktionen auf die andere Person und sein Eindruck von der Reaktion, die er in ihnen hervorrief, stehen immer im Mittelpunkt. Die Aufzeichnungen sind daher von Übertreibung und einer durchdringenden Ehrlichkeit gekennzeichnet. Der Vortrag rekurriert größtenteils auf das Konvolut Aufzeichnungen aus dem Nachlass und führt Canettis Interaktionen mit Schriftstellern wie Itzik Manger und Paul Celan, T.S. Eliot und Dylan Thomas, Saul Bellow und Iris Murdoch als Beispiele an.