Die Donau lesen. (Trans-)Nationale Narrative im 20. und 21. Jahrhundert
DACH-Projekt: Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) und Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)(2020-2023)
Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IKT), Wien; Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde (IdGL), Tübingen
Ziel des Projektes ist, identitätsbildende Narrative über die Donau im 20. und 21. Jahrhundert unter kulturwissenschaftlichen Aspekten zu erforschen. Gegenstand der Untersuchung sind Bild- und Textmedien, in denen die Donau für bestimmte soziale Gemeinschaften Gestalt annimmt und zur Identifikationsfläche wird: literarische Texte, Fotografien und Filme. Zwei Forschungsstätten arbeiten dabei eng zusammen: die Österreichische Akademie der Wissenschaften/Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte (Wien) und das Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde (Tübingen). Darüber hinaus kooperiert das Projekt mit renommierten Forschungsstellen anderer Donaustädte (Bratislava, Novi Sad und Bukarest).
Projektmanagement:
Univ. Doz. Dr. Christoph Leitgeb (IKT Wien)
Dr. habil. Edit Király (IKT Wien)
Dr. Anton Holzer (IKT Wien)
Prof. Dr. Reinhard Johler (IdGL Tübingen)
Dr. Olivia Spiridon (IdGL Tübingen)
Cooperation Partner (Cotutelle): Prof. Ivana Živančević-Sekeruš (Novi Sad)
Donaunarrative in der Vojvodina (Dissertation)
Die medienspezifischen Längsschnitte der Donaunarrative werden in einem Teilprojekt als vertiefendem Fallbeispiel ergänzt. Die Vojvodina ist als historisch stark befrachtete Region (Gavrilović 2012, 2014), die im Spannungsfeld zwischen der Kontinuität des Flusses und der Diskontinuität der überregionalen, nationalen oder Minderheitenidentitäten ständig neu imaginiert wurde, exemplarisch: Das ehemalige Grenzland zwischen dem Osmanischen und dem Habsburger Reich ist bis in die Gegenwart von Brüchen und Krisen gekennzeichnet, was sich in den „umstrittenen Vergangenheiten” (Kuljić 2010) seiner ethnischen Gruppen und in den überlappten Donaunarrativen niedergeschlagen hat.
Viele der im Projekt andiskutierten Fragen stellen sich am Beispiel der Vojvodina exemplarisch: Die Metapher der Donau als Band etwa wurde in den Identitätsnarrativen der Donauschwaben betont und während des Nationalsozialismus radikalisiert (Das große Aufgebot 1941). Aber auch trennende Donaudiskurse vom Fluss als Grenze, seine Vereinnahmung als Kampf- und Tatort lassen sich hier brennpunktartig analysieren (Végel: Neoplanta 2013, Weidenheim: Pannonische Novelle 1991).
Das Beispiel der Vojvodina zeigt so auch die historische und metaphorische Aufladung von Flusslauf und Überquerung besonders anschaulich. Die Metaphern der Wasserstraße, der Zusammenflüsse und Brücken sowie auch der zerstörten Brücken finden Eingang in Heimatnarrative, die das Verhältnis der Vojvodina zur weiteren Umgebung aufgreifen (Ladik: Vészkijárat 2000). Sie reflektieren Strategien der Inklusion und Exklusion mit Blick auf interethnische Grenzlinien und äußere Grenzen. Entsprechend ambivalent wird diese Metaphorik, wenn die erzwungene Überquerung des Flusses bei Fluchtbewegungen erzählt wird, z. B. der Serben ins Habsburgerland während der Türkenkriege oder der Donauschwaben am Ende des Zweiten Weltkriegs aus Jugoslawien. Mit der Errichtung von Grenzzäunen auf der ungarischen Seite der Grenze und der Wiedereröffnung von Flüchtlingssammelstellen, zum Beispiel in Padinska Skela – ein ehemaliges Gefängnis für rumänische Flüchtlinge in der kommunistischen Ära – wurde die Identität der Vojvodina als ein Land an der Grenze zur EU neu geformt. Verschiedene historische Topoi wurden in aktuelle Fluchtnarrative integriert, und die Debatte auf europäischer Ebene widerspiegelt sich in der Vojvodina in unterschiedlicher Art und Weise, so auch durch Aushandlung der für die Region spezifischen Folgen in der fiktionalen Literatur (Lazarević: Švapski paket 2016).
Dieses transmedial angelegte Teilprojekt wird also Identitätskonzepte und Raumentwürfe dieses überschaubaren Raumes von 1945 bis in die Gegenwart untersuchen. Es bereitet am Fallbeispiel die transmedialen Überlegungen des zweiten Projektabschnitts vor, bettet seine Ergebnisse aber umgekehrt auch in Überlegungen zu transnationalen Narrativen ein.
Quellenlage Fallstudie Vojvodina
Die Untersuchung stützt sich auf literarische und essayistische Texte aus der Region, wie auch Periodika (Dnevnik, Zrenjanin, Subotičke novine, Híd etc.), Fotoalben, Dokumentar- und Spielfilme. Die Texte konnten in der Matica Srpska in Novi Sad und in der Serbischen Nationalbibliothek in Belgrad gefunden werden. Materialien, die jugoslavische und serbische Filme betreffen, werden im Rahmen der Film-Studie bereitgestellt und ungarischsprachige Materialien von der Studie an Textnarrativen. Spezifisch für den Blick auf die Region von außen sind in Deutschland und Österreich erschienene Erinnerungs- und Heimatbücher, die in der Osteuropaabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek und in der Bibliothek des IdGL vorhanden sind. Andere Materialien von außerhalb der Region stellen Periodika (wie z. B. das Donautal-Magazin) sowie die Webseiten der donauschwäbischen Heimatortsgemeinschaften dar.
Prof. Dr. Reinhard Johler wird gemeinsam mit Prof. Ivana Živančević-Sekeruš von der Universität in Novi Sad die Promotion in einem Cotutelle-Verfahren betreuen. Projektmitarbeiterin an der Tübinger Forschungsstätte ist Dr. Olivia Spiridon, die in ihrem Projektteil zu filmischen Donaunarrativen zwei ihrer früheren Forschungsinteressen verbindet: die rumänischdeutsche Minderheitenforschung sowie die Frage der Grenzkonstruktionen entlang der Donau. Die Dissertationsstelle am IdGL soll mit einer Person besetzt werden, die kulturwissenschaftlich/historische Kenntnisse im Bereich der Südosteuropaforschung mitbringt, die nötigen Sprachkenntnisse aufweist und sich mit der Fallstudie zur Vojvodina beschäftigt. Die Unterbringung und die damit verbundenen Kosten werden vom IdGL in Tübingen getragen.
Reading the Danube. (Trans)national narratives in the 20th and 21st centuries
The aim of the project is the scientific analysis of the identity-forming narratives about the Danube in the 20th and 21st centuries. The subject is the investigation of image and text media in which the Danube takes shape for certain social communities and becomes a surface for identification: literary texts, photographs and films. Two research institutions work closely together: the Austrian Academy of Sciences/Institute of Cultural Sciences and Theatre History (Vienna) and the Institute for Danube Swabian History and Regional Studies (Tübingen). In addition, the project cooperates with renowned research centres in other Danube cities (Bratislava, Budapest, Novi Sad, Sofia and Bucharest).
Project management:
Univ. Doz. Dr. Christoph Leitgeb (IKT Wien)
Dr. habil. Edit Király (IKT Wien)
Dr. Anton Holzer (IKT Wien)
Prof. Dr. Reinhard Johler (IdGL Tübingen)
Dr. Olivia Spiridon (IdGL Tübingen)
Cooperation Partner (Cotutelle): Prof. Ivana Živančević-Sekeruš (Novi Sad)
Danube narratives in the Vojvodina (Dissertation)
This part of the project comprises a case study carried out as an in-depth supplement to the media-specific longitudinal sections of the Danube narratives. The Vojvodina is an exemplary case as a region with a turbulent history (Gavrilović 2012, 2014), a region that has been repeatedly recast between the twin poles of the continuity of the river and the discontinuity of supra-regional, national and minority identities (e.g. Tomić 2016, Lazar cf. 2003). Up to the present day, the former borderland between the Ottoman and Habsburg Empires has remained a region of fault lines and crises, a characteristic that is reflected in the “contested pasts” (Kuljić 2010) of its ethnic communities and in overlapping narratives relating to the Danube. The Vojvodina can serve as a model for studying many of the questions touched on above: The metaphor of the Danube as a ribbon, for example, was emphasised in the identity narratives of the Danube Swabians and radicalised during the period of National Socialism (Das große Aufgebot 1941). Moreover, the river as a border, and its appropriation as a scene of fighting and crime are also clearly illustrated in the Vojvodina (Végel: Neoplanta 2013, Weidenheim: Pannonische Novelle 1991).
Clearly, the example of the Vojvodina in general provides a particularly vivid illustration of the metaphorical charging of the course of the river and river crossings throughout history. Channel, confluence and bridge metaphors as well as the image of the collapsing bridge are to be found in homeland narratives that address Vojvodina’s relationship with the wider surrounding area (Ladik: Vészkijárat 2000). They reflect strategies of inclusion and exclusion with respect to interethnic boundaries and outside borders.
This imagery becomes exceedingly ambivalent when narratives relate to river crossings by people forced to flee, e.g. the Serbs fleeing to Habsburg territory during the Turkish Wars, the Danube Swabians fleeing Yugoslavia at the end of the Second World War. With the erection of fences on the Hungarian side of the border and the (re)opening of migrant facilities e.g. in Padinska Skela – converted from a prison used during the communist regime for Romanian refugees – Vojvodina’s identity as a borderland on the threshold of the EU has been re-established in a new form. Various historic topoi are being integrated into the recent refugee narrative, and the dispute on the European level is mirrored in the Vojvodina in multiple ways, with the specific consequences for the region being negotiated even in fictional literature (Lazarević: Švapski paket 2016).
In summary, this transmedia sub-project will serve to investigate concepts of identity and space in this defined area from 1945 to the present day. As a case study, it prepares the ground for both the transmedial and the transnational reflections of the second project stage.
Sources Vojvodina case study
he investigation is based on literary texts, essays, periodicals (Dnevnik, Zrenjanin, Subotičke novine, Híd etc.), photo albums, documentary and non-documentary films from the region. Text material can be found in the Matica Srpska Library in Novi Sad and the National Library of Serbia in Belgrade. Materials concerning Yugoslav and Serbian films will be provided by the case study on film, while Hungarian language materials are collected with the support of the text media case study. Sources from outside the Vojvodina, such as memory and homeland books published in Germany and Austria, are to be found in the Eastern Europe Department of the Bavarian State Library and the library and archive of the IdGL Tübingen. Additional outside sources include periodicals (e.g. Donautal-Magazin) and the websites of Danube-Swabian hometown associations.
Prof. Reinhard Johler and Prof. Ivana Živančević-Sekeruš in Novi Sad will jointly supervise the doctoral student conducting the Vojvodina case study in the form of a cotutelle procedure. Dr. Olivia Spiridon, the project team member at the Tübingen research facility, can combine two of her previous research interests in her project section on Danube film narratives, namely Romanian Studies - German minorities research and the question of border constructions along the Danube. The postgraduate research post at the institute (appointment pending) will be awarded to a researcher with a cultural studies or historical background, experience in the field of research into Southeast Europe, the relevant language skills and an interest in the Vojvodina case study. The position will be located in Tübingen and the costs related to work space etc. covered by the IdGL.